Zur Geschichte der Biberacher Musikschule
Das Musikschuljubiläum lässt vordergründig den Schluss zu, dass in Biberach erst seit 1954 eine organisierte musikalische Jugendbildung betrieben wird. Die musikalische Ausbildung junger Menschen ist in Biberach bis in die Reformationszeit zurück zu verfolgen. Die "Zöglinge" genossen eine gründliche musikalische Ausbildung und zwar nicht nur im Singen, sondern auch im Instrumentalspiel, wie schon aus einem evangelischen Ratsprotokoll von 1653 zu entnehmen ist.(Schlegel, Franz, Justinus Heinrich Knecht, Biberach 1980 S. 10) Das im 17. Jahrhundert gegründete Alumnat (kirchliche Ausbildungsstätte im Spital) kann praktisch als Vorläufer der heutigen Musikschule angesehen werden. Die darin ausgebildeten Sänger und Instrumentalisten blieben meist auch nach der Schulzeit der Musik treu und füllten oft lebenslang ihren Posten im Chor oder Orchester aus. Schlegel, (Franz, Justinus Heinrich Knecht, Biberach 1980 S. 10) 1802 wurde laut Verfügung des damaligen Oberamtes das Alumnat aufgehoben. Justin Heinrich Knecht schrieb: "Man hebe das Alumnat gänzlich auf, so wird sowohl derjenige, welcher die Musik dirigieren, als derjenige, welcher vorsingen soll, ganz isoliert dastehen..." (1)
Als in Biberach im April 1806 ein Gymnasium eröffnet wurde, verband man mit diesem eine Musikschule, in der Justin Heinrich Knecht und Georg Anton Bredelin lehrten. In der damaligen Zeitung "Nützliches und unterhaltendes Wochenblatt" schrieben Knecht und Bredelin, dass jedem Gymnasiasten und jedem anderen gebildeten jungen Menschen der Zutritt zu diesem öffentlichen Musikinstitut gestattet ist. (2)
Im Jahre 1949 erschien in der Biberacher Zeitung von G. Maerz ein Artikel, der sich über die Zukunft der städtischen Musikpflege Gedanken macht: "Das Alumnat, in seiner altherkömmlichen Form dürfte als überlebt gelten. Es muss an seine Stelle eine Einrichtung treten, welche das Alumnat und dessen grundsätzliche Bedeutung voll zu ersetzten imstande ist." Und weiter: "Einer städtischen Singschule... müsste die städtische Musikschule, mit dem Ziel, das städtische Orchester zu entwickeln und zu erhalten, folgen. Die Einrichtung einer Musikschule dürfte allerdings größere Schwierigkeiten bereiten." (3)
Im Jahre 1952 regte das Land Baden-Württemberg an, Jugendmusikschule zu gründen und stellte zunächst für vier Schulen hohe staatliche Zuschüsse in Aussicht. Dies nahm der als Studienrat für Musik am Wieland-Gymnasium tätige Musikdirektor Hans Knörlein zum Anlass, im Dezember 1952 sich für die Gründung einer Jugendmusikschule in Biberach einzusetzen. Es dauerte jedoch noch weitere zwei Jahre bis zum Februar 1954, wo anlässlich einer Jugendmusikwoche die Gründung definitiv beschlossen wurde. In einer Niederschrift des Gemeinderats vom 2. April 1954 steht: "Erfreulicherweise habe die Jugendmusikwoche den letzten Anstoß zur Gründung einer Jugendmusikschule gegeben, die zu Beginn des neuen Schuljahres ihre Tätigkeit aufnehmen werde." (4)
Erstaunlicherweise wird im "Schwarzwälder Boten" an Ostern 1954 über die Gründung der Biberacher Musikschule berichtet: "Die Wielandstadt erhält eine Jugendmusikschule / Singen, Rhythmik, Blockflöte" lautete die Artikelüberschrift. "Der Kreis- und Stadtjugendring Biberach dessen zwei erste Vorsitzende Walter Zizmann und Gebhard Kaspar sich seit langem um das Zustandekommen einer Jugendmusikschule bemühen, hat die Verwaltung übernommen, wobei ihnen die vielfältigen Erfahrungen von Musikdirektor Hans Knörlein zustatten kommen werden. Die Jugendmusikschule Biberach will eine solide Grundlage für alles künftige Musizieren schaffen....Der Unterricht an der Musikschule beginnt am 2. Mai." (5)
Hans Knörlein war die unermüdliche treibende Kraft sowohl für die Gründung der Jugendmusikschule in Biberach als auch für deren Entwicklung in den ersten Jahren. (6) Ein Jahr nach der Gründung hatte die Musikschule bereits 128 Schüler. Der Unterricht in Violine, Gitarre, Bratsche, Violoncello, in den folgenden Jahren auch Querflöte, Oboe und Klarinette, sowie auch der Blechblasinstrumente konnte aufgenommen werden.
1964 wurde das zehnjährige Jubiläum gefeiert. In der "Schwäbischen Zeitung" vom 12.11.1964 ist zu lesen: "240 Schüler besuchen die Jugendmusikschule Biberach...In einem Zyklus von drei Musizierabenden gewährt sie einen Einblick in ihr Schaffen, das gleichzeitig programmatisch ihr Wollen sichtbar macht." (7)
Am 4. Februar 1965 ist in der "Schwäbischen Zeitung" ein Rückblick über die Jubiläumsveranstaltungen abgedruckt. Der Leiter des Stadtjugendringes Zizmann sprach sich in diesem Artikel über die räumliche Beengung der Jugendmusikschule aus und bat um deren Behebung.
Was wird aus der Jugendmusikschule? war am 13. Dezember 1966 ein kritischer Artikel in der "Schwäbischen Zeitung" überschrieben. Am 31. Dezember 1966 legte der Stadtjugendring die Musikschulleitung nieder. "Die Stadtverwaltung sieht sich vor schwierige Aufgabe gestellt. Damit hat diese ebenso bewährte wie notwendige Einrichtung zunächst zu existieren aufgehört," (8) notierte die örtliche Presse.
Ein wesentlicher Grund dafür war der plötzliche Tod des ehemaligen Leiters Studienrat Knörlein. "Trotz angespannter Finanzlage hat sich der Gemeinderat entschlossen, die Jugendmusikschule auf die Stadt zu übernehmen, um diese wertvolle Pflegestätte musischen Lebens zu erhalten." (9) Der Gemeinderat beschließt am 23. Januar 1967 auf Antrag des damaligen Kulturamtsleiters Strittmatter die Jugendmusikschule künftig in städtische Obhut zu übernehmen. Die Frage eines fachlichen Leiters blieb vorerst ungelöst. Der jeweilige Kulturreferent war für die Musikschule verantwortlich.
"Als ein besonderer Glücksfall erwies sich die Möglichkeit, im Jahre 1969 mit den beiden Prager Professoren Emma Kovárnová und Josef Horák zwei hochqualifizierte Künstler als hauptamtliche Lehrkräfte an die Biberacher Musikschule zu verpflichten. Durch ihre künstlerische und pädagogische Ausstrahlung wurden sie bald zu einem Kristallisationszentrum musikalischer Bildung." (10). Vielen Schülern und auch zahlreichen Biberacher Konzertbesuchern vermittelten sie Verständnis für zeitgenössische Musik.
Am 10.8.1970 beschloss der Gemeinderat in Ochsenhausen eine Nebenstelle einzurichten, dem Jahre später noch eine Außenstelle in Tannheim folgen sollte.
Der damalige Kulturamtsleiter Opitz kritisierte in seinem Bericht vor dem Gemeinderat den seiner Meinung nach verbesserungsfähigen Zustand der Musikschule: "Vieles war vorhanden, aber keine Aufsicht" (11). Hier spitzt sich ein bereits seit Jahren schwelendes Problem zu. Das Fehlen eines fachlichen Leiters konnte auf Dauer nicht ohne Auswirkung bleiben.
Der Weggang von Musikdirektor Erich Weber 1975 beendete im Hintergrund die Querelen um die Leitung der Jugendmusikschule. Im Januar 1976 wurde dem städtischen Musikdirektor Peter Marx die Leitung der Musikschule übertragen.
Ín einem Kommentar schrieb Gunther Dahinten am 22.8.1975 in der "Schwäbische Zeitung" über den neu ernannten Biberacher Musikdirektor Peter Marx: "Allround-Musiker für ein Allround-Amt... Er müsste nach menschlichem Ermessen folglich in jeder Beziehung der richtige Mann sein für das Amt, die Aufgabenfülle...Dass ein zielbewusster Kopf diese Institution endlich zu dem macht, was sie sein sollte, zu einer qualifizierten, attraktiven Stätte der musikalischen Ausbildung und Nachwuchsförderung, ist eine der großen Erwartungen, die an den neuen Musikdirektor geknüpft werden... Er wirkt ungekünstelt, jugendlich, lässt aber auch Entschiedenheit durchspüren und die Absicht, vor den Reden Leistungen sehen zu lassen."(12) Wie recht er bekommen sollte.
Peter Marx war es, der die Musikschule in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt hat, der sie systematisch nach den Richtlinien des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) ausbaute und das Fächerangebot um wichtige Instrumente vervollständigte. Unter seiner Leitung wurde nun Unterricht in praktisch allen Orchesterinstrumenten angeboten, dazu kamen Ergänzungsfächer wie verschiedene Orchester, Chor, Rhythmik, Musiklehre, Hörerziehung, Ensemblespiel, Kammermusik u.v.a. Mit immer neuen Ideen und Impulsen versuchte er die Musikschule attraktiv zu machen und deren Bestand damit auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu sichern. Unter seiner Leitung stiegen die Schülerzahlen alljährlich an. Zur Zeit werden über 1300 Schüler von 63 Lehrkräften unterrichtet.
Bruno Frey - Spender und Namensgeber
(Auf dem Bild noch v.l.n.r. Alt-OB Hoffmann, OB Fettback, Ehrenbürger Bruno Frey, Lebensgefährtin Frau Wagner-Palitzsch, Alt-Musikdirektor Marx und Kulturdezernent Dr. Biege)
Die stetige Vergrößerung der Schule führte zu immer größeren Raumproblemen. Peter Marx ist es zu verdanken, dass der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 12. Dezember 1988 mehrheitlich beschlossen hat, mit dem Neubau der Musikschule auf dem Gelände des Gasthofes „Waldhorn“ im Frühjahr 1989 zu beginnen. Ein Glücksfall war es auch, dass sich in Bruno Frey ein großherziger Spender für den Neubau der Musikschule fand. Am 19. Juni 1991 wurde der Neubau eröffnet und zehn Jahre später, seit dem 19. Juni 2001 trägt die Schule den Namen des Biberacher Ehrenbürgers Bruno Frey, der übrigens nicht nur den größten Teil des Neubaues finanzierte, sondern auch eine Stiftung (Bruno-Frey-Preis) ins Leben rief und einen hochwertigen Flügel stiftete.
Am 11.9.2002 wurde Musikdirektor Peter Marx nach 27 Jahren mit der Verleihung der Bürgerurkunde in den Ruhestand verabschiedet. Oberbürgermeister Fettback versuchte ihn zu beschreiben: „Eine Ära gehe für Biberach zu Ende. Er war und ist die musikalische Drehscheibe für die Stadt. Er hat die musikalischen Kräfte in Biberach gebündelt und neue entfachen können... Quer durch alle Schichten sei er hoch anerkannt wegen seiner fachlichen, intellektuellen, humorvollen Kompetenz. Für Biberach sei er ein Glücksfall gewesen.“(13)
Am 10.Dezember 2001 wurde der 35jährige Andreas Winter vom Gemeinderat zum neuen städtischen Musikdirektor und Leiter der Bruno-Frey-Musikschule gewählt. Nach seinem Amtsantritt am 1.7.2002 steht für ihn im Mittelpunkt seiner Arbeit, das Angebot aufrecht zu erhalten und die Musikschule auch in finanziell schwierigen Zeiten gut über die Runden zu bringen.
Fußnoten:
1 Schlegel, Franz, Justinus Heinrich Knecht, Biberach 1980 S. 11
2 Ladenburger, Michael, Justin Heinrich Knecht, Diss. Wien 1984 S.97
3 Maerz, G. aus der Zeitung 1949 (ohne genauere Angabe)
4 Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderates vom 2.4.1954 Nr. 197
5 Schwarzwälder Bote Nr. 90 Ostern 1954
6 Festschrift 30 Jahre Jugendmusikschule im Mai 1985 S. 13,14
7 Schwäbische Zeitung Nr. 262 vom 12.11.1964
8 Schwäbische Zeitung Nr. 287 vom 13.12.1966
9 Schwäbische Zeitung Nr. 56 vom 8.3.1967
10 Festschrift 30 Jahre Jugendmusikschule im Mai 1985 S. 14
11 Schwäbische Zeitung Nr. 281 vom 5.12.1974
12 Schwäbische Zeitung 22.08.1975
13 Schwäbische Zeitung 13.09.2002