11.10.2023

Bürgertag 2023: Städtepartnerschaft im Mittelpunkt

Es ist ein besonderer Bürgertag gewesen, der am Sonntag in der Stadthalle mit rund 350 Menschen gefeiert wurde. Ein bewegendes Fest, das im Zeichen Europas stand und bei dem die Hilfsachse Biberach-Schweidnitz in den Fokus rückte. Jenes Netzwerk also, das nach Kriegsausbruch in der Ukraine schnell und unkompliziert Hilfe organisierte. Und so wurden auch vier Personen mit der Bürgerurkunde der Stadt Biberach ausgezeichnet, die großen Anteil am Gelingen der Hilfsaktionen haben: Małgorzata Jasińska-Reich, Hans-Bernd Sick, Maksym Kurtus und Natalia Sztandera.
Oberbürgermeister Norbert Zeidler (r.) zeichnete beim Bürgertag Maksym Kuruts (v. l.), Małgorzata Jasińska-Reich, Natalia Sztandera und Hans-Bernd Sick mit der Bürgerurkunde aus. Beata Moskal-Słaniewska, Stadtpräsidentin von Schweidnitz, hielt die Festrede. ; © Stadt Biberach

Der 24. Februar 2022 markierte eine Zeitenwende in Europa – an jenem Tag begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Wenige Tage später gab es im Biberacher Rathaus eine der „wichtigsten Besprechungen der letzten Jahre“, schilderte Oberbürgermeister Norbert Zeidler in seiner Rede beim Bürgertag.

Vertreter des Vereins Städte Partner Biberach (StäPa), des DRK, der großen kirchlichen Hilfswerke sowie des THW und der Stadtverwaltung waren zusammengekommen, um die von vielen Seiten eingehenden Hilfsangebote zu koordinieren und abzustimmen. „Unsere Idee, die Biberacher Hilfe nicht irgendwohin in der uns unbekannten Ukraine, sondern konkret und direkt über unsere Partnerstadt Schweidnitz aufzugleisen, wurden sowohl vom StäPa als auch von Schweidnitz begrüßt“, sagte Zeidler. Nachdem die Biberacher Freunde in Polen zwei Städtepartnerschaften in der Ukraine hätten, sei auf diese Weise eine zielgerichtete Hilfe möglich gewesen.

„Was sich in dieser Folge ereignete, hat all unsere Erwartungen übertroffen – und uns offen gestanden auch zu Beginn ein wenig überfordert“, gab Zeidler Einblicke in die Anfänge der Hilfsaktion. Binnen kürzester Zeit sei ein immenser Betrag an Geldspenden eingegangen, am Ende mehr als 240.000 Euro. Aber nicht nur die finanzielle Spendenbereitschaft der Biberacherinnen und Biberacher sowie aus dem Umland sei enorm gewesen. „Wir wurden beinahe überrollt von Sachspenden, sowohl von Unternehmen und Händlern als auch von Privatpersonen.“

Europa – kein Selbstläufer

Eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft habe sich in Biberach formiert. „Für mich war diese Zeit eine der intensivsten, die ich bisher als Oberbürgermeister erlebt habe“, sagte Zeidler, der diesen „Gemeinschaftsakt unserer Stadt“ lobte. Es sei deutlich geworden, was bürgerschaftliches Engagement leisten könne, wenn Kräfte gebündelt würden. Er hob dabei das Engagement der Biber­acher Feuerwehr hervor, ohne diese wäre „diese unkomplizierte und schnelle Aktion niemals möglich gewesen“. Zeidler würdigte darüber hinaus die „brillante Leistung“ des StäPa. Dessen Netzwerke seien Garant für das Funktionieren der Hilfsachse gewesen.

Der Oberbürgermeister schlug auch nachdenkliche Töne an. „Wir stehen gemeinsam vor riesigen Herausforderungen – und nicht wenige haben Zweifel, ob Europa dem gewachsen ist. Wir alle wissen um die Uneinigkeit und den Unfrieden auch innerhalb der EU.“ Das alles sei eine harte Probe, gerade in Zeiten von Umbrüchen und des Wandels. Europa sei nichts Selbstverständliches und gleich gar kein Selbstläufer. „Europa muss von Menschen gewollt und auch getragen werden“, verdeutlichte Zeidler und appellierte: „Dafür brauchen wir jeden Einzelnen.“

Dass die Partnerschaft zwischen Biberach und Schweidnitz in den vergangenen gut eineinhalb Jahren nochmals eine ganz neue Tiefe erhalten hat, betonte nicht nur Zeidler, sondern auch die Schweidnitzer Stadtpräsidentin Moskal-Słaniewska in ihrer Festrede: „Wir haben in Ihnen echte Freunde und Partner.“ Dies zeigte sich auch bei der sich anschließenden Verleihung der Bürgerurkunden durch den OB.

Małgorzata Jasińska-Reich

Die erste Bürgerurkunde erhielt Małgorzata Jasińska-Reich, seit 2001 Mitglied des Vereins Städte Partner Biberach und seit 2018 Vorsitzende des Schweidnitz-Ausschusses. Zeidler würdigte ihr vielfältiges Engagement und unterstrich, welch enge und gute Kontakte sie in die Partnerstadt Schweidnitz pflegt. „Diese Kontakte und guten Beziehungen waren von großem Wert bei der Durchführung der Hilfstransporte für die Ukraine“, sagte Zeidler in seiner Laudatio.

Jasińska-Reich habe die ganze Zeit über unterstützt und dabei geholfen zu dolmetschen, Spenden zu sammeln und diese nach Polen zu überführen. Mehrfach habe sie Hilfstransporte nach Schweidnitz persönlich begleitet und sei dabei „einer der Motoren dieses Projekts“ gewesen. „Mit einem immensen zeitlichen Einsatz, mit unheimlich viel Herzblut und Leidenschaft und wenn nötig auch mit dem entsprechenden Biss.“

Małgorzata Jasińska-Reich selbst betonte, dass die Hilfskette Biberach-Schweidnitz ohne die großzügigen Spenden der Biberacherinnen und Biberacher, ohne die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und ohne den Mut jener Menschen, die die Hilfsgüter in die Ukraine fuhren, nicht möglich gewesen wäre. Ihre Dankesworte verband sie mit einem Wunsch: „Ich hoffe, dass dieser schreckliche Krieg bald zu Ende geht.“

Hans-Bernd Sick

Auch die zweite Bürgerurkunde ging an ein verdientes StäPa-Mitglied: Hans-Bernd Sick. Zeidler skizzierte dessen bereits seit den 80er-Jahren währendes Engagement für den Verein, aber auch weitere ehrenamtliche Aktivitäten. Sick, seit 2018 Vorsitzender, sei Projektmanager, Organisator, Eventmanager, Fahrdienstler, Küchenhelfer, Presseverantwortlicher, Fotograf und vieles mehr. „Kurz und gut: Wir ehren heute einen unheimlich umtriebigen Schaffer und Strategen“, sagte Zeidler, „und gleichzeitig die gute Seele des StäPa“. Mit seiner Weltoffenheit, seiner mehr als zugewandten und kommunikativen Art, seinem Organisationstalent und seinem charmanten Humor verkörpere Sick einen Chef-Diplomaten für Biberach in der weiten Welt, wie man ihn sich nicht besser wünsche könne. Wenngleich in Warthausen wohnend, sei Sick im Herzen definitiv ein Biber.

Der Geehrte wiederum betonte, dass die Bürgerurkunde zwar eine persönliche Auszeichnung sei, man als Einzelner aber wenig bewege, weshalb er die Anerkennung an alle Aktiven, Freunde und Unterstützer des Partnerschaftsgedankens weiterreiche. „Es müssen immer viele gemeinsam anpacken.“ Er bedankte sich beim Gemeinderat, der parteiübergreifend die Arbeit des Vereins und die Bedeutung der Städtepartnerschaften für die Völkerverständigung würdige.

Deren Bedeutung habe dankenswerterweise auch Bischof Waldemar Pytel aus Schweidnitz in seiner Hoffnung stiftenden Predigt am Vormittag hervorgehoben. Partnerschaften stünden für Versöhnung, Friede und Völkerverständigung, aber auch Freude, was auch in den aktuellen Partnerschaftwochen bei vielen Veranstaltungen erlebbar werde. An diesem Tag stehe aber die Hilfsachse Biberach-Schweidnitz im Mittelpunkt.

Maksym Kuruts und Natalia Sztandera

Ein essenzieller Bestandteil davon sind Maksym Kuruts und Natalia Sztandera, die „die vielleicht außergewöhnlichste Ehrung“ erhielten, wie Zeidler erklärte. Schließlich sei die Bürgerurkunde noch nie international verliehen worden.

Die beiden Gründer der Stiftung „Patrz Sercem“ („Schau mit dem Herzen“) hätten bereits in den ersten Tagen des Kriegs mit der Arbeit zur Unterstützung der Menschen in der Ukraine begonnen. Zunächst seien die Aktivitäten der Stadt Schweidnitz in Bereichen wie Übersetzungen, Transport und Betreuung ankommender Flüchtlinge unterstützt worden. „Fast alles im Leben von Maksym Kuruts und Natalia Sztandera drehte sich darum, wie und wo Hilfen organisiert und ermöglicht werden können.“ Zwei Tage nach Kriegsbeginn seien, organisiert durch Kuruts und Sztandera, zum ersten Mal Busse mit Hilfsgütern zur ukrainischen Grenze gefahren. Mittlerweile würden durchschnittlich alle zwei Wochen eingesammelte Hilfsgüter zur Grenze gebracht.

Zeidler lobte die beiden als „maßgeblichen Baustein“ innerhalb der Hilfsachse. Die Auszeichnung sei vor allem auch ein Symbol, das sagen wolle: „Wir unterstützen euch und eure Arbeit auch weiterhin. Wir sind Freunde, auf die ihr zählen könnt.“

Maksym Kuruts und Natalia Sztandera gaben mit einem Film Einblicke in ihre Stiftungsarbeit. 35 Transporte haben sie bislang ins Kriegsgebiet geschickt, beladen mit 120 Tonnen Hilfsgütern. Insbesondere die ersten Wochen seien sehr intensiv gewesen. „Unser Leben drehte sich darum, wo wir Hilfsgüter abholen können, wie wir sie verpacken und wer sie bekommt“, berichtete Sztandera. Nach und nach hätten sie ein System entwickelt, um die Hilfe effizienter gestalten zu können. Auch nach rund 600 Tagen Krieg sei der Schwerpunkt ihrer Arbeit noch derselbe: „Wir wollen die Ukraine in dieser schwierigen Zeit so gut wie möglich unterstützen.“

Maksym Kuruts betonte, wie wichtig es sei, bestätigt zu bekommen, dass die eigene Arbeit wertvoll und nützlich ist. Mit bewegenden Worten schilderte der Ukrainer, dass er hin- und hergerissen sei zwischen dem Organisieren der Hilfe von Schweidnitz ausgehend und dem Gedanken, dass er eigentlich an der Front kämpfen sollte.

Freuen durften sich die „Patrz Sercem“-Gründer nicht nur über die Bürgerurkunde, sondern auch über die Spendengelder, die an diesem Abend gesammelt wurden. 1.752 Euro kamen zusammen und wurden sogleich an Sztandera und Kuruts überreicht, damit sie weitere Hilfsgütertransporte organisieren können.

Musikalische Umrahmung durch die Band Karm(a)

Für den würdigen kulturellen Rahmen des zweieinhalbstündigen Festakts sorgte die Band Karm(a). Kerstin Bönsch, Michael Nover, Andreas Winter und Roland Gütt hatten Texte und Lieder von Krieg und Frieden mitgebracht. Ihren dritten und letzten Block schlossen sie mit zwei hoffnungsvollen Liedern ab: „Imagine“ von John Lennon und „99 Luftballons“ von Nena. Kerstin Bönsch kündigte zwei Songs an, die jeder kennt, aber nicht in diesen Versionen: „Stell dir vor, es gäbe keine Landesgrenzen. Vielleicht nennst du mich einen Träumer, aber – ich bin nicht der Einzige.“

Die Band Karm(a) sorgte für den würdigen kulturellen Rahmen des zweieinhalbstündigen Festakts. ; © Stadt Biberach