16.04.2024

Aktionswochen »Lesen und Schreiben für alle!«

Rund sechs Millionen Erwachsene in Deutschland – so die Einschätzung verschiedener Studien – können nicht richtig lesen und schreiben. Stadtbücherei und vhs, Bildungsregion Landkreis Biberach und Stadtteilhaus Gaisental e.V. nehmen sich in verschiedenen Veranstaltungen noch bis 19. Mai dieses wichtigen Themas an.

Lesen und Schreiben - für viele Menschen ist das eine völlig normale Alltagstätigkeit. Erwachsene verbringen, laut einer Studie aus dem Jahr 2010, rund vier Stunden täglich mit Lesen - und etwa zwei Stunden mit Schreiben. Der Anteil dürfte inzwischen noch deutlich gestiegen sein. Das bedeutet: Ein Drittel seiner Wachphase verbringt ein erwachsener Mensch im Schnitt mit Lesen und Schreiben.

Die Schrift ist wohl die wichtigste Erfindung der Menschheitsgeschichte und eine der grundlegendsten Fähigkeiten in unserer Gesellschaft. Während wir das Sprechen in der Regel mühelos nebenbei erlernen, brauchen wir zum Erwerb der Schriftsprache, also zum Lesen und Schreiben, Unterricht und viel Übung. Das geschieht in der Regel in der Grundschule. Von da an begleitet uns das Lesen für den Rest unseres Lebens. Und das Lesenlernen ist mit dem Ende der Schulzeit noch lange nicht abgeschlossen. Mit jedem Text, den wir lesen, bauen wir unsere Lesekompetenz aus und erweitern das Textverständnis. Das Lesenlernen nimmt also kein Ende.

Wir lesen Nachrichten auf dem Smartphone und in E-Mails, Posts, Blogs, Beschilderungen im Verkehr und in Städten, Plakate, Aufschriften auf Transportern und LKWs, Fahrpläne, Anleitungen, Formulare, Zeitschriften, Zeitungen, Comics, Bücher. Wir lesen in der digitalen und in der analogen Welt. Das meiste davon lesen wir so nebenbei, oft sogar ohne es bewusst zu tun. Und die meisten von uns haben vergessen, welche Mühe uns das Lesenlernen im Grundschulalter gekostet hat.

Doch nicht für alle Menschen ist das Lesen und Schreiben eine Selbstverständlichkeit. Etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland kann, trotz einer Schullaufbahn, nicht richtig lesen und schreiben. Das Spektrum reicht dabei von Menschen, die beim Lesen ins Stocken geraten, bei längeren Sätzen mehrmals von vorne beginnen müssen, über Personen, die den Inhalt des Gelesenen nicht wirklich verstehen können oder sich danach schlecht oder gar nicht merken können, was sie gerade gelesen haben, bis hin zu Menschen, die nicht einmal ihren Namen oder einzelne Buchstaben schreiben können.

Meist stehen sie ganz normal im Leben, haben eine Familie und einen Job, im günstigen Fall einen, bei dem es nicht so sehr auf diese Kompetenz ankommt. Dennoch ist es eine enorme Leistung und zeugt auch von einer gewissen Intelligenz, sich in unserer schriftgeprägten Welt auf diese Weise durchs Leben zu schlagen und nicht „entdeckt“ zu werden.

Der Alltag dieser Menschen ist oft von Scham geprägt. Es ist nicht leicht, im Erwachsenenalter zuzugeben, dass man nicht richtig lesen und schreiben kann. Gefühle von Unsicherheit, Ausgeliefertsein und mangelndes Selbstvertrauen bestimmen ein solches Leben. Aber auch wenn es Überwindung, Zeit, Anstrengung und Mühe kostet, als Erwachsener noch lesen und schreiben zu lernen, ist es nie zu spät. Und: Man ist in dieser Situation nicht allein. Es gibt Hilfs- und Unterstützungsangebote.

Mit den Aktionswochen „Lesen und Schreiben für alle!“ möchte die Kooperation von Stadtbücherei und vhs Biberach, der Bildungsregion Landkreis Biberach und dem Stadtteilhaus Gaisental e.V. in der Zeit vom 8. April bis 19. Mai 2024 mit verschiedenen Veranstaltungen auf dieses wichtige Thema hinweisen:

Das ALFA-Mobil des Bundesverbandes für Alphabetisierung und Grundbildung e.V. (BVAG) ist am Dienstag, 16. April 2024 von 10.00 bis 13.00 Uhr in Biberach auf dem Marktplatz zu Gast. Die Mitarbeitenden des ALFA-Mobils klären darüber auf, was es bedeutet als Erwachsene nicht richtig lesen und schreiben zu können und welche Anzeichen darauf hindeuten könnten. Gemeinsam mit Betroffenen und den Kooperationspartnern wird über Hilfsangebote vor Ort informiert. Es werden vielfältige Materialien rund um das Thema bereitgestellt.

Am 24. April wird eine Online-Schulung zum Thema „Sensibilisierung für das Thema geringe Literalität“ angeboten. Hier geht es darum, die Anzeichen zu erkennen, die darauf hindeuten, dass Personen im persönlichen Umfeld von funktionalem Analphabetismus betroffen sein könnten. Sie zeigen außerdem wie man darauf einfühlsam reagieren kann. Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist bis zum 23. April unter angelika.rosewich@stadtteilhaus-gaisental.de möglich.

Am Dienstag, 14. Mai 2024 um 19.30 Uhr ist Marion Döbert mit der Lesung „Einfache Sprache öffnet Bücherwelten“ zu Gast in der Stadtbücherei Biberach. Sie ist Botschafterin für Alphabetisierung und Gründungs- und ehemaliges Vorstandsmitglied im Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Als Autorin verfasst sie Romane in Einfacher Sprache und setzt bekannte literarische Werke in Einfache Sprache um. An diesem Abend liest sie aus ihren eigenen Romanen und lädt im Anschluss zu einem Gespräch über die Faszination der Einfachen Sprache in der Literatur ein.

Umrahmt werden die Veranstaltungen von einer Ausstellung zu den Lebenswelten gering Literalisierter. Im Landratsamt ist die Ausstellung zu den regulären Öffnungszeiten noch bis 20. April 20214 zu sehen, dann zieht sie ins Foyer des Rathauses um, wo man sich vom 22. April bis 2. Mai informieren kann. Zum Abschluss wird das Material vom 6. Mai bis 19. Mai 2024 in der Stadtbücherei zu sehen sein.

Gezeigt wird, auf welche Hindernisse und Herausforderungen man im Alltag beispielsweise auf Warntafeln, Formularen, Hinweisschildern, Beipackzetteln, Websites, sozialen Medien stößt, wenn man mit dem flüssigen Lesen und Schreiben Probleme hat: Überall ist ein hohes Maß an Lesekompetenz gefragt. Dass diese Einschränkung jedoch nicht nur die praktische Bewältigung des Alltags, sondern auch und vor allem die Gefühlswelt massiv beeinflusst, ist auf den Plakatwänden dargestellt.