08.11.2023

»Jugend Aktiv« wird 30 - Wolf König und Andreas Heinzel im Interview

Offene Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Streetwork und vieles mehr: Der Verein „Jugend Aktiv“ ist in Biberach einer der wichtigsten Ansprechpartner in Fragen der Kinder- und Jugendarbeit. Und das seit drei Jahrzehnten. „Wir haben uns von einem Modellprojekt zu einem erwachsenen Jugendhilfeträger entwickelt“, sagt Geschäftsführer Wolf König.
Andreas Heinzel (l.) und Wolf König laden am Freitag, 10. November, anlässlich des 30. Geburtstags von »Jugend Aktiv« zum Mitmachtag ins Jugendhaus ein. ; © Stadtverwaltung Biberach

Gemeinsam mit dem stellvertretenden Geschäftsführer Andreas Heinzel spricht er anlässlich des 30. Geburtstags im Interview unter anderem über die Anfänge des freien Jugendhilfeträgers, dessen Entwicklung die beiden seit Langem begleiten und maßgeblich mitgestalten. König ist seit 23 Jahren dabei, Heinzel seit 28.

Herr König, Herr Heinzel, wir treffen uns für dieses Gespräch im Jugendhaus 9teen in der Breslaustraße, wo auch die Geschäftsstelle von „Jugend Aktiv“ ist. War die Eröffnung des Jugendhauses im April 2017 einer der wichtigsten Meilensteine der vergangenen 30 Jahre?

König: Definitiv. Für „Jugend Aktiv“ ist es etwas Besonderes, diesen Standort zu haben. Jeder, der eine Frage rund um die Kinder- und Jugendarbeit hat, weiß, dass er hier richtig ist. Früher waren wir über die Stadt verteilt, jetzt kommen die Leute einfach vorbei und finden den richtigen Ansprechpartner.

Heinzel: Dabei war der Weg bis zur Eröffnung ja durchaus lang und steinig. Elf Jahre dauerte es vom Antrag des Jugendparlaments bis zur Fertigstellung. Mittlerweile ist das Jugendhaus nicht nur Sitz von „Jugend Aktiv“, sondern für viele Jugendliche eine Heimat, ihr Wohnzimmer. Manche kommen täglich. Diese Homebase gab es vorher nicht.

Nicht nur die räumlichen Gegebenheiten haben sich in den vergangenen Jahren verändert, auch das Tätigkeitsfeld wurde nach und nach angepasst und erweitert.

König: Gestartet ist der Verein im Jahr 1993 als Modellprojekt der Jugendarbeit im Zusammenspiel mit der Stadt und den Kirchen. Das erste Jugend-Aktiv-Team bestand aus drei Mitarbeitern: einem Sozialarbeiter, einem Arbeitserzieher und einem Zivi. Ihre Aufgabe war es, für auffällige Jugendliche eine Lösung zu finden, sie zu beschäftigen. Aufsuchende Jugendarbeit steckte in den 90er-Jahren noch in den Kinderschuhen. Dass es dafür in einer Stadt der Größe Biberachs ein gefördertes Modellprojekt gab, war etwas Besonderes.

Heinzel: Für das Modellprojekt wurden drei Lastwagen aus den ehemaligen Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR beschafft. Diese sollten gemeinsam mit den Jugendlichen für einen Hilfskonvoi nach Telawi fitgemacht werden. Die Jugendlichen wurden zum „Schrauben“ ins „Abseitz“ eingeladen, man kam ins Gespräch, es wurden Kontakte geknüpft.

Auch wenn der Konvoi letztlich nicht zustande kam – in Georgien herrschte seinerzeit noch Bürgerkrieg – war das Projekt der Grundstein für eine andere Art von offener Kinder- und Jugendarbeit in Biberach. Ein erstes, niederschwelliges erlebnispädagogisches Angebot, das auch mit der Hoffnung verbunden war, die Jugendlichen in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Damals wie heute ist ein zentraler Punkt Ihrer Arbeit, an die Jugendlichen heranzukommen.

Heinzel: Und wir sind dabei auch schon viele ungewöhnliche Wege gegangen. So haben wir mal ein Budenkonzept für die Stadt Biberach erarbeitet, darüber gab es sogar eine Diplomarbeit. Wir haben Bauwagen im Stadtgebiet aufgestellt, die Akzeptanz war aber nicht nachhaltig. Letztlich hat es nicht funktioniert.

Ist das nicht frustrierend?

Heinzel: Nein. Die Lebenswelt junger Menschen steht im Mittelpunkt unseres Handelns. Und durch solche Versuche haben wir die Bedarfe über die Jahre hinweg immer besser versorgen können.

Eines der ersten Projekte, das auf Wunsch von Jugendlichen angestoßen wurde, war der Skateplatz beim früheren Hallenbad im Jahr 1994.

Heinzel: Bereits ein Jahr zuvor waren Skater auf den Arbeitserzieher mit der Bitte zugegangen, irgendwo eine Halfpipe zu ermöglichen. So entstand Biberachs erster Skateplatz. Ein weiteres Beispiel, wie gut Jugendarbeit funktionieren kann, ist der BMX-Platz.

Die Jugendlichen wollten unbedingt einen Platz mit Dirtjumps und einer Halfpipe in Biberach, wir haben diesen Wunsch unterstützt und begleitet. Daraus hervor ging ein eigenständiger Verein, der bis heute den Platz betreibt und inzwischen sogar einen professionellen geteerten Pumptrack-Parcours realisiert hat.

Ein Schwerpunkt Ihres Leistungsspektrums ist heutzutage die Schulsozialarbeit. Wann fiel dafür der Startschuss?

König: Die ersten Versuche machten wir 1995 mit einer ABM-Stelle (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) an der Mali-Schule. Diese lief 1996 wieder aus – nebenbei auch jenes Jahr, in dem die städtische Jugendarbeit und die Tätigkeiten von „Jugend Aktiv“ unter dem Dach von „Jugend Aktiv“ zusammengelegt wurden.

An der Mail-Schule wurde nach dem Ende der ABM-Stelle zwar präventiv weitergearbeitet, offiziell weiter ging es mit der Schulsozialarbeit aber erst 2003. Ein Jahr zuvor war die Schulsozialarbeit bereits an der Pflugschule gestartet. Seither ist viel passiert.

Heute haben wir 16 Schulsozialarbeiter, die schwerpunktmäßig in Biberach tätig sind. Vier Schulen betreuen wir außerhalb der Stadtgrenzen: in Mittelbiberach, Schemmerhofen, Ummendorf und Warthausen.

Anlässlich der Diskussionen um das Alkoholkonsumverbot am Busbahnhof ging es auch um die dortigen Jugendlichen und die Arbeit der Streetworker. Was hat sich hier, seit das Verbot gilt, getan?

Heinzel: Mit der aufsuchenden Arbeit/Streetwork sind wir auch in diesem Bereich unterwegs. Das Verbot hat dazu geführt, dass sich viele Jugendliche nicht mehr am Bahnhof aufhalten. Manche verhaltensauffällige, zu denen wir vorher Kontakt hatten, treffen wir leider gar nicht mehr an. Wir machen mit unserer mobilen Jugendarbeit ein Angebot, das freiwillig ist und bei dem der Kontakt von den Jugendlichen bestimmt wird.

Sind Jugendliche im Jahr 2023 anders als es jene 1993 waren?

Heinzel: Grundsätzlich sehe ich keine großen Unterschiede. Jugendliche wollen gesehen und gehört werden und sich mit der Erwachsenenwelt reiben. Das gilt für damals und heute. Die Rahmenbedingungen sind heute teils erschwert. Sei es mit Blick auf die Sozialen Medien, diverse Entwicklungen im Bildungsbereich, die Erwartungshaltung in der Schule.

König: Heute dürfen die Jugendlichen viel weniger als früher. Es tauchen immer gleich Fragen zur Haftung oder Verkehrssicherung auf. Sich einfach mal auszuprobieren war in den 90er-Jahren sicherlich unkomplizierter. Früher wurde den Jugendlichen mehr Selbstverantwortung zugetraut.

Abschließend ein Blick nach vorne: Wie sehen Sie die Rolle von „Jugend Aktiv“ in den nächsten Jahren, welche Schwerpunkte gibt es?

Heinzel: Wir werden es auch künftig nicht scheuen, uns für unser Klientel einzusetzen, auch wenn das mitunter konfrontativ wirken mag.

König: Insgesamt scheint sich die soziale Lage für Kinder und Jugendliche im Zuge der vielen gesellschaftlichen Krisen zu verschlechtern. Dies hat zunehmend Auswirkungen auf die Inanspruchnahme auch unserer Dienste und der Bedarf steigt. In allen Arbeitsfeldern könnte es daher punktuell nötig sein, noch nachzujustieren. Grundsätzlich reagieren wird mit unseren Angeboten aber immer auf den Bedarf, den wir dann mit den Kostenträgern diskutieren. Angesichts aktueller Entwicklungen könnte es auch sein, dass wir versuchen, mit Projekten das Heimat- und Demokratieverständnis zu fördern. Hier scheint sich ein Bedarf abzuzeichnen.

Jubiläums- und Mitmachtag am 10. November

„Jugend Aktiv“ feiert den 30. Geburtstag am Freitag, 10. November, von 14 bis 18 Uhr mit einem Jubiläums- und Mitmachtag im Jugendhaus in der Breslaustraße. Neben Mitmachaktionen gibt es auch Präsentationen der Angebote und Arbeitsbereiche.

Die Mitarbeitenden stehen für Fragen zur Verfügung, die Wirkung von „Jugend Aktiv“ in Biberach und dem Umland wird deutlich gemacht und die Geschichte vom kleinen Jugendhilfeträger mit drei Mitarbeitenden 1993 zum heute wichtigen Akteur in der Jugendhilfelandschaft mit 47 Mitarbeitenden wird aufgezeigt.