15.03.2023

Innenstadtstudie und »Platz für alle«: Für eine attraktivere Innenstadt

Es kann losgehen. Der Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung einstimmig beschlossen, die ersten aus der Innenstadtstudie und dem Bürgerdialog „Platz für alle“ resultierenden Handlungsempfehlungen umzusetzen – knapp 50 an der Zahl.
»Mehr Grün« wünschen sich viele Bürgerinnen und Bürger. Auf dem Marktplatz soll dies unter anderem durch mehr Pflanzkübel mit Bäumen erreicht werden.

OB Norbert Zeidler sprach von einem „Generalbeschluss“, der in naher Zukunft 24 weitere Vorlagen und Beschlüsse für die jeweiligen Gremien auslöse. Zahlreiche kleinere Maßnahmen können hingegen nun direkt umgesetzt werden.

Erster Bürgermeister Ralf Miller und Baubürgermeister Christian Kuhlmann erläuterten nochmals die Ausgangslage. „Wir haben viele verschiedene Perspektiven auf unsere Stadt bekommen“, ordnete Ralf Miller die Ergebnisse der Innenstadtstudie ein. Die empirische Untersuchung des Dortmunder Büros Stadt + Handel stand unter der zentralen Fragestellung „Wie sieht die Biberacher Innenstadt der Zukunft aus?“.

Mit diesen Impulsen sowie den Erkenntnissen aus „Platz für alle“ seien Handlungsempfehlungen erarbeitet worden, die kurz- und mittelfristig umgesetzt werden könnten, führte Miller aus. Dabei gelte es auch, in manchen Bereichen „Nutzungskonflikte“ zu lösen. Das Wichtigste sei aber: „Die Studie zeigt auf: Wir haben die Chance, unsere Stadt positiv weiterzuentwickeln.“

Als eine „sehr besondere Form der Bürgerbeteiligung“ bezeichnete Baubürgermeister Kuhlmann den breit angelegten Bürgerdialog „Platz für alle“, bei dem im vergangenen Jahr acht Wochen lang über Nutzung und Gestaltung der öffentlichen Räume in der historischen Altstadt diskutiert worden war. Dieses „Stadtgespräch“ habe ausdrücklich keinen Anspruch auf Repräsentativität, unterstrich Kuhlmann. „Das Ziel war, einen breiten Fächer an Ideen und Gedanken zu sammeln und verschiedene Bevölkerungsgruppen miteinzubeziehen.“ Dies sei unter anderem beim Marktaktionstag gelungen, der eine große Resonanz erfahren habe.

Kernaussagen der Bürgerbeteiligung bezögen sich beispielsweise auf Parken und Verkehr auf dem Marktplatz, eine Verkehrswende sowie mehr Grün in der Innenstadt, eine gesteigerte Aufenthaltsqualität insbesondere durch mehr Sitzgelegenheiten und ein breiteres gastronomisches Angebot mit ansprechender Außengastronomie. Manche dieser Anregungen seien schnell umsetzbar, andere wiederum etwas komplizierter und bräuchten entsprechend Zeit, erklärte Kuhlmann. Wichtig sei nun, eine Diskussion darüber zu führen und den Prozess voranzutreiben.

Die Kunst des Möglichen

Ehe die Fraktionsvertreter das Wort ergriffen, sagte OB Zeidler, dass manchen die vorgeschlagenen Punkte zu wenig sein würden, anderen wiederum zu viel. Er halte es hier mit Bismarck: „Politik ist die Kunst des Möglichen.“

Die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen sei eine „Ehrensache“, meinte Lutz Keil (SPD). „Wir werden uns wandeln müssen“, bemerkte er bezugnehmend auf Pandemie und Klimawandel. „Der Verkehr der Zukunft heißt für uns vor allem ÖPNV“, so Keil. Dass der Holzmarkt als zweiter ÖPNV Schwerpunkt ausgebaut werden solle, finde die SPD richtig. Seine Fraktion wolle zwar keinen autofreien Marktplatz, aber einen ohne „Parksuchverkehr“.

Ein „großes Defizit“ sieht er in der Innenstadt bei Fassadenbegrünungen. Keil lobte aber auch einige gelungene Beispiele. Er wünsche sich darüber hinaus eine bessere Bewerbung der Stadt allgemein und speziell der kulturellen Ereignisse. „Davon würde auch die Gastronomie profitieren.“ Grundsätzlich müssten Orte geschaffen werden, „wo man sich aufhalten kann und wo auch Kinder schon lernen, ihre Stadt für sich zu erobern“. Auch dem Wohnen in der Innenstadt müsse eine größere Bedeutung zukommen, sagte Keil, und äußerte die Überlegung, Leerstände umzuwidmen. Zwei besonders wichtige Punkte seien Sauberkeit und Sicherheit rund um die Uhr.

Günter Warth (FDP) lobte, dass die Innenstadtstudie „sehr gute Ideen“ hervorgebracht habe. Bei „Platz für alle“ kritisierte er aber, dass kein innerstädtischer Betrieb, kein Hauseigentümer und kein Mieter offiziell befragt worden sei. Bevor Dinge verändert würden, müsse erst Bewährtes erhalten bleiben.

„Eine Innenstadt ohne Gastronomie und Einzelhandel ist nicht attraktiv.“ Zwei Punkte seien für Innenstädte elementar: Erreichbarkeit und Attraktivität. Diese ergänzten sich gegenseitig. Gerade an Attraktivität habe die Stadt zuletzt aber eingebüßt. Viele Geschäftslagen, darunter Hindenburgstraße und Ulmer-Tor-Straße, hätten sich innerhalb weniger Jahre von Toplagen zu schlechten Lagen entwickelt. „Früher intakte Straßen verlieren weiter an Bedeutung und werden zu No-Go-Zonen“, so Warth.

Die Gastronomie sei stark geschwächt. Gastronomen seien nicht bereit, sich neu anzusiedeln oder großartig zu investieren. Biberachs Plus sei die gute Erreichbarkeit. Wenn diese nicht mehr gewährleistet werden könne, befürchte er, dass die Augenärzte in der Schrannenstraße oder der Müller-Markt sich nach anderen Standorten umsehen. Beim Thema Sauberkeit könne die Stadt mehr tun, beim Thema Sicherheit müsse sie es. Eine temporäre Schließung der Zufahrt zum Marktplatz über die Consulentengasse lehne die FDP ab.

Mehr Grün und mehr Sitzmöglichkeiten

Dass er die Situation in der Innenstadt deutlich positiver sehe, erklärte Friedrich Kolesch (CDU). Für eine belebte und pulsierende Innenstadt, die Identifikations- und Treffpunkt für alle ist, brauche es attraktive Angebote, Aufenthaltsqualität und gute Erreichbarkeit. Einzelhandel, Gastronomie und Kultur hätten eine Sogwirkung und könnten durch nichts ersetzt werden. Entscheidend sei deshalb, dass die Stadt für die Anbieter und Nutzer dieser Leistungen funktioniere.

Kolesch fand lobende Worte für die Innenstadtstudie und die große Bürgerbeteiligung bei „Platz für alle“, die das Interesse an der Stadt zeige. Er bemängelte aber, dass gerade beim Bürgerdialog Menschen, die nicht in Biberach wohnen, unterrepräsentiert seien. „Die Innenstadt lebt aber zu 50 bis 60 Prozent von Besuchern, die von außerhalb kommen.“ Den „überwältigenden“ Wunsch nach mehr Grün und mehr Sitzmöglichkeiten teile seine Fraktion.

„Ganz wichtig ist eine neue Konzeption für die Wochenmärkte“, sagte Kolesch, der Freitagsmarkt könne hier ein gutes zusätzliches Angebot sein. Die Haltestelle Holzmarkt aufzuwerten, sehe die CDU positiv. Auch weniger Stellplätze auf dem westlichen Marktplatz zugunsten mehr Aufenthaltsqualität seien vorstellbar. „Wir hängen nicht an jedem einzelnen Stellplatz, wenn es sinnvolle Konzepte dafür gibt.“

Der Gemeinderat habe nun die Verantwortung, die Anregungen der Bürger ernst zu nehmen, sagte Silvia Sonntag (Grüne). Vieles könne kurzfristig umgesetzt werden, „indem wir oberirdische Parkplätze kreativer nutzen und flexibler damit umgehen“. Neu gedacht werden müsse bei Verkehrskonzepten. Eine Zufahrtsbeschränkung zum Marktplatz von der Consulentengasse würden die Grünen begrüßen.

Sonntag sprach sich außerdem für einen verbesserten ÖPNV, eine Ausweitung der mobilen Bestuhlung auf dem Marktplatz, mehr Abstellplätze für Fahrräder und mehr gepflanzte Bäume aus. Zudem rief sie in Erinnerung, dass die Testfamilien gesagt hätten, sie bräuchten keine Parkplätze auf dem Marktplatz.

Zu kurz komme den Grünen in all den Überlegungen die Bedeutung des Wohnens in der Innenstadt. Ihre Fraktion stimme den vorgeschlagenen Maßnahmen zu – auch deshalb, damit die Bürger sähen, dass schnell etwas vorangehe.

Flavia Gutermann (FW) regte an, dass die Stadtverwaltung bei Leerständen künftig als Vermittlerin eine aktivere Rolle einnehmen könnte. Grundsätzlich sei es wichtig, schnell kleinere und günstigere Maßnahmen umzusetzen – zum Beispiel Sitzgelegenheiten mit Solardächern auszustatten. Bei allen Maßnahmen stelle sich die Frage, wer sie umsetze und was sie kosteten. „Wir wünschen uns eine gesunde Sparsamkeit“, sagte Gutermann.

Eine Zufahrtsbeschränkung von der Consulentengasse auf den Marktplatz komme für die Freien Wähler aber nicht infrage. Die Händler hätten während der dortigen baustellenbedingten Sperrung im vergangenen Jahr sehr gelitten. Für den weiteren Verlauf wünsche sie sich eine von Pragmatismus und nicht von Ideologien geprägte Diskussion. Gutermann regte einen Stadtspaziergang mit dem Gemeinderat an, damit die Räte auch andere Sichtweisen erhielten.

Er vermisse, so Ralph Heidenreich (Die Linke), in all den Untersuchungen das „allergrößte Desaster in der Stadt“: das Steigerlager. „Da gehört etwas gemacht“, forderte er. Den Ausführungen anderer Fraktionen zur örtlichen Gastronomie, insbesondere jener von der FDP, entgegnete Heidenreich, dass er diesen prognostizierten „Weltuntergang“ nicht teile. Er verwies exemplarisch auf den Kesselplatz. Hier seien Gastronomen schließlich durchaus bereit, zu investieren. Und nicht jede Schließung liege am Personalmangel, sondern an höheren Pachterwartungen.

Eine Auswahl an Maßnahmen, die in den Jahren 2023–2025 umgesetzt werden sollen

Quartiersübergreifend (ohne gesonderten Beschluss):

  • jährlicher Innenstadtrundgang mit verschiedenen Akteuren der Innenstadt und der Verwaltung
  • Weiterführung Arbeitskreis Citymarketing
  • Biberacher Erlebnistour (zweimal jährlich)
  • Fortsetzung Spaß am Samstag
  • Installation von fünf Frequenzmessgeräten: Holzmarkt, westlicher Marktplatz, Radgasse, Hindenburgstraße, Ulmer-Tor-Straße
  • Ausbau öffentliches WLAN
  • digitale Plattform zur Steuerung des Leerstandsmanagements
  • Biberacher Freiräume (Unternehmer, Gründer und Interessierte sollen aktuell leerstehende Immobilien besichtigen können)
  • Anreizprogramm zur Förderung der Ansiedlung und Fortführung von Betrieben

Quartiersübergreifend (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • Konzeption Wochenmärkte/ Jahrmärkte
  • Freitagsmarkt (April–Oktober)
  • digitale Stadteingangstafeln
  • temporäre Aktionen in der Innenstadt wie Stadtstrand, grüne Meile, Brauermarkt, Flohmarkt
  • Fortschreibung bestehendes Verkehrskonzept, darunter Prüfung temporäre Zufahrtsbeschränkungen Marktplatz über Consulentengasse (werktags ab 20 Uhr, an Sonn- und Feiertagen ganztägig)

Holzmarkt (ohne gesonderten Beschluss):

  •  Baumpflanzung und Sitzbank im Bereich Engelgasse

Holzmarkt (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • Erweiterung Wartebereich Haltestelle Holzmarkt durch Aufgabe benachbarter Parkplätze
  • überdachte Fahrradstellplätze

Marktplatz (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • östlicher Marktplatz: vier Pflanzkübel mit Bäumen, feste Sitzmöglichkeiten, mobile Bestuhlung prüfen
  • westlicher Marktplatz: Ermöglichung von Freiräumen für Fußgänger, Pflanzkübel mit Bäumen, Sitzmöglichkeiten, Außengastronomie durch Umwidmung von Parkplätzen nördlich und südlich

Schrannenstraße/Hindenburgstraße (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  •  provisorische Umgestaltung der Hindenburgstraße mit Kübeln mit Bäumen und Sitzmöglichkeiten, später endgültige Umgestaltung

Karpfengasse/Viehmarktstraße (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • Umgestaltung Karpfengasse und Schulstraße im Zuge Ausbau des Nahwärmenetzes

Museumstraße (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • Gesamtkonzept zur Belebung des Spitalinnenhofs, Abendnutzung, Bewirtungspavillons für Pop-up- Gastro oder Themenwochen
  • Bike-Sharing-Anlage
  • Neuer Spielpunkt Viehmarktplatz mit Sitzgelegenheiten

Obstmarkt (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • Baumdach, Sitzbänke, Fahrradbügel, Außengastronomie
  • überdachte Fahrradabstellanlage auf dem Alten Postplatz
  • Umgestaltung Pfluggasse Süd/ Viehmarktstraße im Zuge des Ausbaus des Nahwärmenetzes
  • Umgestaltung Umer-Tor-Straße

Bürgerturmstraße/Schadenhofstraße (nach Beratung und Beschluss im Gemeinderat):

  • endgültige Umgestaltung mit Baumdach, Sitzbänken und Außengastronomie
  • provisorische Schaffung eines attraktiven Übergangs vom Marktplatz her, Gestaltung und optische Aufwertung

Gymnasiumstraße/Consulentengasse (ohne gesonderten Beschluss):

  • Begrünung mit Kübel, Trinkwasserspender am Ochsenhauser Hof